582. Bei vernünftigem Nachdenken kann jedermann voraussehen, was aus der Menschheit würde, wenn der Glaube der heutigen Kirche bestehen bliebe. Dieser lehrt nämlich, die Menschen würden durch das bloße Leiden am Kreuz erlöst und alle diejenigen unterlägen nicht der Verdammnis des Gesetzes, die mit dem Verdienst des Herrn beschenkt seien. Von diesem Glauben wisse der Mensch gar nicht, ob er ihn besitze; trotzdem erlöse er von den Sünden und bewirke die Wiedergeburt: Die Mitwirkung des Menschen beim Akt des Glaubens, d. h. während dieser gegeben wird und vom Menschen Besitz nimmt, würde ihn aber zerstören und den Menschen der Seligkeit berauben, weil er auf die besagte Weise nur sein Verdienst mit dem Verdienst Christi vermischen könnte. Jedermann kann, ich wiederhole es, auf Grund vernünftiger Erwägungen beurteilen, ob damit nicht im Grund das ganze Wort verworfen wäre, dessen Hauptlehre ja die Wiedergeburt durch geistige Reinigung vom Bösen und Ausübung der Nächstenliebe ist. Die Zehn Gebote, die Grundlage der Wiedergeburt, bedeuteten dann nicht mehr als ein Stück Papier, wie man es in den Läden verkauft und zur Herstellung von Gewürztüten verwendet. Die Religion würde sich in dem Gewinsel erschöpfen, man sei ein Sünder und in dem Flehen, dass Gott Vater sich um des Leidens seines lieben Sohnes willen erbarmen möge. Sie wäre folglich bloß eine Sache der Lippen und des Atems aus der Lunge, nicht aber eine Sache der Tat aus dem Herzen. Die Erlösung wäre nichts anderes als ein päpstlicher Ablass oder, wie es vorkommt, die stellvertretende Geißelung eines Mönchs für eine ganze Gemeinde. Wäre es der bloße Glaube, was den Menschen wiedergebiert, und nicht die Buße und Nächstenliebe, so wäre der innere Mensch, d. h. sein nach dem Tod fortlebender Geist, nichts anderes als eine abgebrannte Stadt, deren Schutt den äußeren Menschen bildet, beziehungsweise ein Acker oder Feld, das Raupen und Heuschrecken verwüstet haben. Vor den Engeln erschiene ein solcher Mensch, als ob er in seinem Schoß eine Schlange hege und ein Kleid darüber gezogen hätte, um sie zu verbergen, oder auch wie jemand, der als ein Schaf bei einem Wolf schläft oder in einem Hemd aus Spinnengewebe unter einer prächtigen Decke ruht. Das Leben nach dem Tod, wo im Himmel alle je nach ihren Fortschritten in der Wiedergeburt und in der Hölle je nach deren Verwerfung unterschieden werden, wäre solchen Menschen nichts als ein fleischliches Leben oder wie das Leben eines Fisches oder Krebses.