815. Eine der zahlreichen Folgen, die sich aus diesem Zustand ergeben, besteht darin, dass sie die geistigen Dinge der Kirche zwar im Gedächtnis bewahren, aber nur selten in den höheren Verstand emporheben. Sie lassen sie vielmehr nur in den unteren Verstand eindringen, aus dem heraus sie darüber argumentieren, und sind somit in dieser Hinsicht ganz anders als die freien Nationen. Diese sind in Bezug auf die geistigen, d. h. theologischen Dinge der Kirche wie die Adler, die sich zu jeder Höhe emporschwingen, während die unfreien Nationen den Schwänen in einem Fluss gleichen. Die freien Nationen ähneln auch den größeren Hirschen mit hohem Geweih, die in voller Ungebundenheit Felder, Haine und Wälder durchstreifen, die unfreien Nationen hingegen den Hirschen, die ein Fürst zu seinen Zwecken in Tiergärten hält. Ferner kann man die Völker der Freiheit mit dem geflügelten Pferd der Alten, dem Pegasus, vergleichen, das nicht nur über die Meere, sondern auch über die so genannten Parnassischen Hügel und den Sitz der Musen an ihrem Fuß hinweg flog, die nicht freigelassenen Völker hingegen den edlen Pferden mit ihrem schönen Geschirr in den Ställen der Könige. Entsprechend unterscheiden sich ihre Urteile hinsichtlich der Geheimnisse der Theologie: Während ihres Studiums pflegen die deutschen Theologen nach dem Diktat ihrer Professoren auf den Hochschulen Hefte zusammenzuschreiben, die sie als verbindliche Leitsätze der Gelehrsamkeit auf bewahren und nach der Einweihung ins geistliche Amt oder nach der Anstellung an den höheren Lehranstalten zumeist als Grundlage ihrer Lehrtätigkeit von Kanzel oder Katheder betrachten. Diejenigen Geistlichen unter ihnen, die sich nicht an die Richtschnur der kirchlichen Orthodoxie halten, predigen gewöhnlich vom Heiligen Geist und seinen wunderbaren Wirkungen sowie von der Erweckung frommer Gefühle in den Herzen der Menschen. Anders die Geistlichen, die den Glauben nach Maßgabe der heutigen Orthodoxie lehren. Sie erscheinen den Engeln, als ob sie mit einem aus Eichenblättern geflochtenen Kranz geschmückt seien, wohingegen diejenigen, die aus dem Wort Gottes über die Liebe und die guten Werke lehren, ihnen erscheinen, als ob sie Kränze aus duftenden Lorbeerblättern trügen. Wenn die Evangelischen in Deutschland mit den Reformierten über die Wahrheiten streiten, erscheinen sie den Engeln, als ob sie ihre Kleider zerrissen, denn die Kleider bedeuten die Wahrheiten.
