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Jeremia 33

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1 Und des HERRN Wort geschah zu Jeremia zum andernmal, da er noch im Vorhof des Gefängnisses verschlossen war, und sprach:

2 So spricht der HERR, der solches macht, tut und ausrichtet; HERR ist sein Name:

3 Rufe mich, so will ich dir antworten und will dir anzeigen große und gewaltige Dinge, die du nicht weißt.

4 Denn so spricht der HERR, der Gott Israels, von den Häusern dieser Stadt und von den Häusern der Könige Judas, welche abgebrochen sind, Bollwerk zu machen zur Wehre,

5 und von denen, so hereinkommen sind, daß sie wider die Chaldäer streiten mögen, daß sie dieselbigen füllen müssen mit toten Leichnamen, welche ich in meinem Zorn und Grimm erschlagen will; denn ich habe mein Angesicht von dieser Stadt verborgen um aller ihrer Bosheit willen:

6 Siehe, ich will sie heilen und gesund machen und will sie des Gebets um Frieden und Treue gewähren.

7 Denn ich will das Gefängnis Judas und das Gefängnis Israels wenden und will sie bauen wie von Anfang;

8 und will sie reinigen von aller Missetat, damit sie wider mich gesündiget haben, und will ihnen vergeben alle Missetat, damit sie wider mich gesündigt und übertreten haben.

9 Und das soll mir ein fröhlicher Name, Ruhm und Preis sein unter allen Heiden auf Erden, wenn sie hören werden all das Gute, das ich ihnen tue. Und werden sich verwundern und entsetzen über all dem Guten und über all dem Frieden, den ich ihnen geben will.

10 So spricht der HERR: An diesem Ort, davon ihr saget: Er ist wüst, weil weder Leute noch Vieh in den Städten Judas und auf den Gassen zu Jerusalem bleibet, die so verwüstet sind, daß weder Leute noch Bürger noch Vieh drinnen ist,

11 wird man dennoch wiederum hören Geschrei von Freude und Wonne, die Stimme des Bräutigams und der Braut und die Stimme derer, so da sagen: Danket dem HERRN Zebaoth, daß er so gnädig ist und tut immerdar Gutes! und derer, so da Dankopfer bringen zum Hause des HERRN. Denn ich will des Landes Gefängnis wenden wie von Anfang, spricht der HERR.

12 So spricht der HERR Zebaoth: An diesem Ort, der so wüst ist, daß weder Leute noch Vieh drinnen sind, und in allen seinen Städten werden dennoch wiederum Hirtenhäuser sein, die da Herden weiden,

13 beide, in Städten auf den Gebirgen und in Städten in Gründen und in Städten gegen Mittag, im Lande Benjamin und um Jerusalem her und in Städten Judas; es sollen dennoch wiederum die Herden gezählet aus- und eingehen, spricht der HERR.

14 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, daß ich das gnädige Wort erwecken will, welches ich dem Hause Israel und dem Hause Juda geredet habe.

15 In denselbigen Tagen und zur selbigen Zeit will ich dem David ein gerecht Gewächs aufgehen lassen; und soll ein König sein, der wohl regieren wird, und soll Recht und Gerechtigkeit anrichten auf Erden.

16 Zur selbigen Zeit soll Juda geholfen werden und Jerusalem sicher wohnen; und man wird ihn nennen: Der HERR, der unsere Gerechtigkeit ist.

17 Denn so spricht der HERR: Es soll nimmermehr fehlen, es soll einer von David sitzen auf dem Stuhl des Hauses Israel.

18 Desgleichen soll's nimmermehr fehlen, es sollen Priester und Leviten sein vor mir, die da Brandopfer tun und Speisopfer anzünden und Opfer schlachten ewiglich.

19 Und des HERRN Wort geschah zu Jeremia und sprach:

20 So spricht der HERR: Wenn mein Bund aufhören wird mit dem Tage und Nacht, daß nicht Tag und Nacht sei zu seiner Zeit,

21 so wird auch mein Bund aufhören mit meinem Knechte David, daß er nicht einen Sohn habe zum Könige auf seinem Stuhl, und mit den Leviten und Priestern, meinen Dienern.

22 Wie man des Himmels Heer nicht zählen noch den Sand am Meer nicht messen kann, also will ich mehren den Samen Davids, meines Knechts, und die Leviten, die mir dienen.

23 Und des HERRN Wort geschah zu Jeremia und sprach:

24 Hast du nicht gesehen, was dies Volk redet und spricht: Hat doch der HERR auch die zwei Geschlechter verworfen, welche er auserwählet hatte; und lästern mein Volk, als sollten sie nicht mehr mein Volk sein.

25 So spricht der HERR: Halte ich meinen Bund nicht mit Tag und Nacht noch die Ordnung des Himmels und der Erde,

26 so will ich auch verwerfen den Samen Jakobs und Davids, meines Knechts, daß ich nicht aus ihrem Samen nehme, die da herrschen über den Samen Abrahams, Isaaks und Jakobs. Denn ich will ihr Gefängnis wenden und mich über sie erbarmen.

   

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Wahre Christliche Religion # 459

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459. VIER DENKWÜRDIGE ERLEBNISSE

Das erste Erlebnis: Einst sah ich in der Ferne fünf Versammlungshäuser, die von verschiedenartigem Licht umgeben waren, das erste von einem flammenden, das zweite von einem gelben, das dritte von einem blendend weißen und das vierte von einem Licht, das die Mitte zwischen dem Schein der Mittags- und Abendsonne hielt, während das fünfte kaum sichtbar war, da es wie im Schatten des Abends lag. Auf den Straßen erblickte ich Gestalten, von denen einige zu Pferd einher ritten, einige im Wagen fuhren und einige zu Fuß gingen. Andere wiederum liefen in großer Eile, u. z. handelte es sich bei ihnen um Leute, die der ersten, von einem flammenden Licht umgebenen Versammlungshalle zustrebten. Bei ihrem Anblick überkam mich das Verlangen, ebenfalls dorthin zu gehen und zu hören, was verhandelt wurde. Ich machte mich daher rasch fertig und gesellte mich zu ihnen. Zugleich mit ihnen trat ich ein, und siehe, es war eine große Versammlung, von der der eine Teil sich rechts, der andere links auf den Bänken niederließ, die an den Wänden entlang standen. Vorn befand sich eine niedrige Rednerbühne, auf der jemand stand, der einen Stab in der Hand hielt und als Vorsitzender amtete. Auf dem Kopf trug er einen Hut, und sein Gewand hatte die Farbe des flammenden Lichts, das jene Versammlungshalle umstrahlte.

Als alle ihre Plätze eingenommen hatten, erhob er seine Stimme und sagte: „Brüder, untersucht heute, was die Nächstenliebe ist. Jedem unter euch kann es bekannt sein, dass das Wesen der Nächstenliebe geistig, ihre Ausübung aber natürlich ist.“ Auf der Stelle meldete sich einer von der ersten Bank auf der linken Seite, wo jene saßen, die den Ruf der Weisheit genossen, und begann folgendermaßen: „Nach meiner Meinung ist die Nächstenliebe die vom Glauben beseelte Sittlichkeit.“ Dies begründete er so: „Wer weiß nicht, dass die Nächstenliebe dem Glauben folgt, ebenso wie die Zofe ihrer Gebieterin, und dass ein gläubiger Mensch das Gesetz, also die Nächstenliebe, so sehr von selbst übt, dass er nicht einmal weiß, dass es das Gesetz und die Nächstenliebe ist, wonach er lebt; denn wenn er es wüsste und deshalb täte und dabei seine ewige Seligkeit im Auge hätte, würde er dann nicht den heiligen Glauben mit seinem Eigenen beflecken und dessen Wirksamkeit somit entkräften? Entspricht dies nicht unserer Lehre?“ Bei diesen Worten wandte er sich nach beiden Seiten und blickte die dort Sitzenden an. Einige Geistliche nickten ihm zu.

Dann fuhr er fort: „Was ist aber die spontane Nächstenliebe anderes als die Sittlichkeit, in die jeder Mensch von Kindheit an eingeführt wird und die daher an sich natürlich ist, später aber, d. h. wenn ihr der Glaube eingehaucht wird, geistig wird? Wer vermöchte aufgrund des sittlichen Lebens eines Menschen zu sagen, ob der Betreffende Glauben hat oder nicht? Jeder Mensch lebt ja sittlich! Gott allein, der den Glauben eingibt und besiegelt, erkennt und unterscheidet daher die Menschen. Deshalb behaupte ich, dass die Nächstenliebe die vom Glauben beseelte Sittlichkeit ist, und dass diese Sittlichkeit aufgrund des ihr innewohnenden Glaubens selig macht. Jede andere Sittlichkeit aber, die auf Verdienst ausgeht, macht den Menschen nicht selig. Folglich verbrennen alle die ihr Öl vergeblich, die die Nächstenliebe und den Glauben miteinander vermischen, d. h. innerlich zu verbinden trachten, statt sie äußerlich einander beizufügen. Sie zu vermischen und zu verbinden, liefe nämlich aufs gleiche hinaus, wie wenn man den Diener, der hinten auf dem Wagen steht, auffordern würde, im Wagen neben dem Bischof Platz zu nehmen, oder wie wenn man den Türsteher ins Speisezimmer hineinführen und neben dem Fürsten an der Tafel Platz nehmen hieße.“

Nun erhob sich einer von der ersten Bank auf der rechten Seite und begann folgendermaßen zu reden: „Meiner Meinung nach ist die Nächstenliebe eine vom Mitleid beseelte Frömmigkeit. Zur Begründung möchte ich anführen, dass nichts anderes Gott stärker zur Gnade bewegen kann als eine Frömmigkeit, die aus demütigem Herzen kommt. Tatsächlich bittet ja auch die Frömmigkeit unausgesetzt, dass Gott Glauben und Liebe schenken möge, und der Herr sagt: Bittet, so wird euch gegeben, (Matthäus 7:7), und weil diese Bitte erfüllt und gegeben wird, so sind Glaube und Nächstenliebe in der Frömmigkeit gegenwärtig. Ich behaupte, dass die vom Mitleid beseelte Frömmigkeit Nächstenliebe ist, weil in aller andächtigen Frömmigkeit Mitleid wohnt, rührt doch die Frömmigkeit das Herz des Menschen, so dass es aufseufzt – und was ist dies anderes als Mitleid? Nach dem Gebet tritt dieses Gefühl zwar wieder zurück, aber mit jedem neuen Gebet stellt es sich wieder ein, und wenn es sich wieder einstellt, so ist die Frömmigkeit in ihm und folglich auch in der Nächstenliebe. Unsere Geistlichen schreiben alles, was das Heil fördert, dem Glauben und gar nichts der Nächstenliebe zu. Was bleibt aber alsdann als die ängstlich um beide bittende Frömmigkeit? Beim Lesen des göttlichen Wortes konnte ich nichts anderes erkennen, als dass der Glaube und die Nächstenliebe die beiden Mittel des Heils seien. Als ich dann aber die Diener der Kirche befragte, vernahm ich, dass das Heil vom Glauben allein abhänge und die Nächstenliebe gar nichts bewirke. Da kam es mir vor, als befände ich mich auf dem Meer in einem Schiff, das zwischen zwei Klippen hin und her getrieben würde. Da ich befürchten musste, es zerschelle, rettete ich mich in ein Boot und fuhr davon. Mein Boot aber ist die Frömmigkeit. Im Übrigen ‚ist die Frömmigkeit in allen Dingen nutze.‘ (1 Timotheus 4:8)“

Jetzt erhob sich einer von der zweiten Bank auf der rechten Seite, ergriff das Wort und sprach: „Nach meiner Ansicht besteht die Nächstenliebe darin, jedem Menschen, dem bösen sowohl wie dem guten, Gutes zu tun. Diese Ansicht begründe ich folgendermaßen: Was ist die Nächstenliebe anderes als Herzensgüte? Das gute Herz aber will allen Menschen wohl, u. z. den bösen ebenso wie den guten. Der Herr forderte, dass man auch seinen Feinden wohltun solle. Bleibt man also irgendjemandem die Nächstenliebe schuldig, wird sie dann nicht nach dieser Seite hin zunichte, und gleicht dann nicht der Mensch einem Hinkenden, dem einer seiner beiden Füße amputiert wurde? Ein schlechter Mensch ist ebensowohl Mensch wie ein guter, und die Nächstenliebe betrachtet den Menschen als Menschen. Ist jemand schlecht, was geht es mich an? Mit der Nächstenliebe ist es ebenso wie mit der Wärme der Sonne, die sowohl den schädlichen wie den nützlichen Bäumen, den Dornbüschen wie den Weinstöcken Wachstum bringt.“ Bei diesen Worten nahm er eine frische Traube zur Hand und sagte: „Die Nächstenliebe ist wie diese Traube, zerlegt man sie, so strömt ihr Inhalt aus.“ Dies zeigte er nun, indem er die Traube zerlegte.

Nach dieser Äußerung erhob sich ein anderer von der zweiten Bank auf der linken Seite und sprach: „Meiner Ansicht nach besteht die Nächstenliebe darin, dass man den Verwandten und Freunden in jeder Weise dient. Dies begründe ich folgendermaßen: Wer weiß nicht, dass die Nächstenliebe bei der eigenen Person anfängt, da doch jeder sich selbst der Nächste ist? Von da aus entfaltet sie sich zunächst in der engsten Verwandtschaft, unter den Brüdern und Schwestern, dann in der weiteren Verwandtschaft und unter den Verschwägerten. Auf diese Weise sorgt die Nächstenliebe selbst für eine Begrenzung ihrer Entfaltung. Die Menschen außerhalb des genannten Kreises gelten ihr als Fremde, und diese werden nicht innerlich anerkannt, weil sie dem inneren Menschen fremd sind. Geschwister und Anverwandte aber verbindet die Natur miteinander, Freunde die Gewohnheit, d. h. die andere Natur, wodurch sie ebenfalls zu Nächsten werden. Auch vereinigt sich die Nächstenliebe von innen her mit dem anderen, und auf diese Weise auch von außen. Diejenigen, die nicht von innen her vereinigt sind, kann man nur Genossen nennen. Erkennen nicht alle Vögel ihre Verwandtschaft, u. z. nicht an den Federn, sondern am Laut und, wenn sie einander nahe sind, an der ihren Körpern entströmenden Lebenssphäre? Dieser Zug zu den Verwandten und die daraus entspringende Verbindung bezeichnen wir bei den Vögeln als Instinkt. Eben diesen Zug aber finden wir auch bei den Menschen, und er ist, wenn er sich auf die Seinigen und Angehörigen erstreckt, der Instinkt der wahrhaft menschlichen Natur. Was anderes begründet die Gleichartigkeit als das Blut? Dieses fühlt und wittert gleichsam das Gemüt des anderen Menschen, das zugleich auch sein Geist ist. Auf dieser Gleichartigkeit und der daher rührenden Sympathie beruht das Wesen der Nächstenliebe. Auf der anderen Seite aber ist die Ungleichartigkeit, der auch die Antipathie entspringt, wie eine Nichtübereinstimmung des Blutes und daher wie das Gegenteil der Nächstenliebe. Weil die Gewohnheit die andere Natur ist und ebenfalls eine Gleichartigkeit herbeiführt, besteht die Nächstenliebe auch darin, dass man den Freunden Gutes tut. Wer nach einer Fahrt über das Meer in einem Hafen landet und dort erfährt, dass er in einem fremden Land ist, dessen Sprache und Sitte er nicht kennt, der ist dann sozusagen ganz außerhalb seines gewohnten Elements und fühlt keinerlei Zug der Liebe zu den Bewohnern. Landet er hingegen in einem Hafen auf dem Gebiet seines Vaterlands, dessen Sprache und Sitten er kennt, so ist er ganz in seinem Element und empfindet auch jenen Zug der Liebe zu den Bewohnern, der zugleich die Freude der Nächstenliebe ist.“

Hierauf erhob sich einer von der dritten Bank rechts und erklärte mit lauter Stimme: „Nach meiner Ansicht besteht die Nächstenliebe darin, dass man den Armen Almosen gibt und den Notleidenden hilft. Dies ist ganz bestimmt die Nächstenliebe, weil es das göttliche Wort so lehrt, und dies duldet keinen Widerspruch. Den Reichen und Besitzenden mit zeitlichen Gütern zu dienen, ist nichts anderes als ein Streben nach eitlem Ruhm, dem nicht Nächstenliebe, sondern das Streben nach Vergeltung innewohnt. In einem solchen Streben aber ist kein echtes, sondern nur ein unechtes Gefühl der Liebe zum Nächsten denkbar, das wohl auf der Erde, aber nicht in den Himmeln Geltung besitzen mag. Es gilt also, der Dürftigkeit und dem Mangel abzuhelfen, weil sich dabei die Vorstellung der Vergeltung nicht einschleichen kann. In der Stadt, in der ich wohnte und in der ich die rechtschaffenen von den schlechten Bürgern zu unterscheiden wusste, sah ich stets, dass beim Anblick eines Armen auf der Straße alle Rechtschaffenen stehen blieben und ihm ein Almosen gaben, alle Schlechten aber nach einem raschen Seitenblick vorübereilten, als ob sie für seinen Anblick blind und für seine Stimme taub seien. Wer weiß nicht, dass die Rechtschaffenen den Nächsten lieben, die Schlechten jedoch nicht? Wer den Armen gibt, den Notleidenden beisteht, gleicht einem Hirten, der die hungrigen und durstigen Schafe auf die Weide und zur Tränke führt; wer hingegen nur den Reichen und Begüterten gibt, gleicht den Götzendienern oder denen, die Speisen und Wein den Berauschten aufdrängen möchten.“

Hierauf nahm einer von der dritten Bank links das Wort und sagte: „Nach meiner Meinung besteht die Nächstenliebe darin, Spitäler, Kranken- , Waisenund Pilgerhäuser zu errichten und mit Gaben zu unterstützen. Dies begründe ich dadurch, dass solche Wohltaten und Unterstützungen öffentlichen Charakter tragen und die privaten Wohltaten meilenweit übertreffen. Durch solche Taten wird die Nächstenliebe reicher und fruchtbarer in Bezug auf das Gute, denn dies wird dadurch vervielfältigt. So fällt denn auch der erhoffte Lohn für diese Taten nach den Verheißungen des göttlichen Wortes viel reichlicher aus; denn wie jemand seinen Acker bestellt und besät, so erntet er. Heißt dies nicht in hervorragendem Maß, den Armen zu geben und den Notleidenden beizustehen? Wer verschafft sich nicht dadurch vor der Welt Ruhm und zugleich Lob und demütigen Dank von Seiten derer, die in solchen Häusern Aufnahme finden? Lässt dies nicht das Herz höher schlagen und erhebt es nicht zugleich jene Neigung, die wir Nächstenliebe nennen, bis zu ihrem Gipfel? Die Reichen, die nicht auf den Straßen zu gehen, sondern zu fahren pflegen, können ihr Augenmerk nicht auf die an den Häuserwänden zur Seite der Straße sitzenden Bettler richten und ihnen kleine Münzen darreichen. Sie geben ihre Beiträge zu solchen Unternehmungen, die vielen zugleich zugute kommen. Die wenigen wohlhabenden Bürger aber, die zu Fuß auf den Straßen gehen, mögen das andere tun.“

Hier wurde seine Stimme von derjenigen eines anderen übertönt, der auf derselben Bank saß. Dieser sprach: „Möchten nur die Reichen niemals die Freigiebigkeit und Großartigkeit ihrer Liebestätigkeit dem Scherflein vorziehen, das der Arme dem Armen gibt. Wir wissen doch, dass jeder der Würde seiner Person entsprechend handelt, er sei König, General, Oberst oder Diener; denn die Nächstenliebe wird an sich nicht nach dem Rang der Person und der entsprechenden Gabe, sondern nach der Fülle des Gefühls geschätzt, das hinter der Gabe steht. Daher kann der Diener, wenn er nur eine Kleinigkeit gibt, aus größerer Nächstenliebe handeln als der Große, der einen ganzen Schatz spendet oder vermacht. Dies stimmt auch überein mit den Worten: ‚Jesus sah, wie die Reichen ihre Gaben in den Schatzkasten einlegten. Er sah aber auch eine arme Witwe, die legte zwei Scherflein ein. Da sprach er: Wahrlich, ich sage euch, die arme Witwe da hat mehr denn alle eingelegt.‘ (Lukas 21:1-3)“

Jetzt erhob sich einer von der vierten Bank links und sprach: „Meine Ansicht von der Nächstenliebe ist die, dass man den Reichtum der Kirche mehren und ihren Dienern wohltun soll. Ich begründe dies damit, dass derjenige, der dies tut, in seiner Seele mit heiligen Dingen umgeht und aus diesem Heiligen heraus handelt, wodurch auch seine Gaben geheiligt werden. Da die Nächstenliebe heilig in sich selbst ist, fordert sie dies. Ist nicht der ganze Gottesdienst in unseren Kirchen heilig? Der Herr sagt ja doch: ‚Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.‘ (Matthäus 18:20) Die Priester aber, seine Diener, versehen den Gottesdienst. Daraus ziehe ich den Schluss, dass Spenden für Priester und Kirchen höher stehen als Spenden für andere Menschen und zu anderen Zwecken. Überdies ist dem Klerus die Macht gegeben, diese Spenden zu segnen, wodurch sie geheiligt werden. Nichts erhebt und erfreut das Gemüt nachher mehr, als seine Weihgeschenke in ebenso viele Heiligtümer verwandelt zu sehen.“

Als er geendet hatte, erhob sich einer von der vierten Bank auf der rechten Seite und sprach folgendermaßen: „Nach meiner Ansicht ist die Nächstenliebe eins mit der alten christlichen Bruderschaft. Dies begründe ich damit, dass jede Kirche, die den wahren Gott anbetet, ihren Anfang bei der Nächstenliebe nimmt, wie es bei der christlichen Urkirche der Fall war. Weil diese Nächstenliebe die Gemüter vereinigt und aus vielen eins macht, darum nannten sie sich Brüder, aber Brüder in Jesus Christus, ihrem Gott. Nun lebten sie damals in einer Umgebung roher heidnischer Völker, vor denen sie sich zu fürchten hatten. Daher errichteten sie eine Gütergemeinschaft, was zur Folge hatte, dass sie sich ihres gemeinsamen Besitzes einmütig erfreuten. Bei ihren Zusammenkünften unterhielten sie sich täglich über den Herrn, ihren Gott und Heiland, und bei ihren Mittags- und Abendmahlzeiten sprachen sie über die Nächstenliebe. Dies war die Grundlage ihrer Verbrüderung. Als dann später Spaltungen zu entstehen begannen und zuletzt die abscheuliche Ketzerei des Arius aufk am, die bei vielen die Vorstellung von der Göttlichkeit des menschlichen Wesens des Herrn zerstörte, nutzte sich die Nächstenliebe rasch ab, und die Bruderschaft löste sich auf. Es ist unbestreitbar, dass alle, die den Herrn in Wahrheit verehren und seine Gebote halten, Brüder sind (Matthäus 23:8), jedoch Brüder im Geist. Heutzutage hingegen wird niemand mehr erkannt, wie er seinem Geist nach beschaffen ist. Daher ist es auch nicht mehr gegeben, dass sich die Christen gegenseitig Brüder nennen. Eine Bruderschaft des bloßen Glaubens oder gar des Glaubens an einen anderen Gott als an den Herrn, unseren Gott und Heiland, verdient nicht den Namen Bruderschaft, weil diesen Arten des Glaubens die Nächstenliebe fehlt, auf der die Bruderschaft beruht. Deshalb ziehe ich den Schluss, dass die alte christliche Bruderschaft die Nächstenliebe war. Sie war es, sage ich, denn sie ist nicht mehr. Ich weissage jedoch, dass sie wiederhergestellt werden wird.“ Als er dies sagte, fiel von Osten her ein flammendes Licht durch das Fenster und färbte seine Wangen. Die Versammlung aber geriet ob dieser Erscheinung in Erstaunen.

Zuletzt erhob sich einer von der fünften Bank links und bat um die Erlaubnis, den Worten des letzten Sprechers noch einiges hinzufügen zu dürfen. Nachdem er die Zustimmung erhalten hatte, sagte er: „Nach meiner Ansicht besteht die Nächstenliebe darin, dass man jedem Menschen seine Fehler vergibt. Zu dieser Ansicht bin ich gekommen aufgrund der üblichen Redeweise derer, die zum Abendmahl gehen, von denen manche dann zu ihren Freunden sprechen: ‚Vergebt mir meine Verfehlungen‘, in der Meinung, damit alle Pflichten der Nächstenliebe erfüllt zu haben. Beim Hören dieser Wort dachte ich jedoch bei mir, dass sie gleichsam nur ein gemaltes Bild und nicht die wirkliche Wesensgestalt der Nächstenliebe darstellten, weil sie auch von denen gesprochen werden, die selber nicht bereit sind zu vergeben sowie auch von denen, die in keiner Weise der Nächstenliebe nachstreben. Menschen dieser Art erfüllen nicht die Voraussetzung jener Worte des Gebets, das der Herr selbst uns gelehrt hat: ‚Vater, vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern.‘ Denn die Sünden sind wie Geschwüre, in denen sich, sofern sie nicht geöffnet und geheilt werden, der Eiter sammelt und die benachbarten Teile entzündet, einer Schlange gleich umherschleichend und das Blut in allen Teilen des Körpers verderbend.

Ebenso verhält es sich mit den Verfehlungen gegenüber dem Nächsten; werden sie nicht durch die Buße und ein Leben entsprechend den Geboten des Herrn entfernt, so bleiben sie und fressen um sich. Diejenigen, die nur zum Herrn beten, dass er ihnen ihre Sünden vergeben möge, ohne zur Buße bereit zu sein, gleichen den Bürgern einer Stadt, die mit einer ansteckenden Krankheit behaftet sind und deshalb zum Bürgermeister gehen und ihn bitten: Heilen Sie uns, Herr Bürgermeister! Zweifellos würde er ihnen antworten: Ich euch heilen? Wendet euch an einen Arzt, der wird euch die Heilmittel nennen, und der Apotheker wird sie euch verschaffen. Nehmt sie ein, und ihr werdet geheilt werden! Der Herr aber wird zu denen, die ihn, ohne wirkliche Buße zu tun, um die Vergebung ihrer Sünden bitten, sprechen: Schlagt das Wort auf und lest, was ich bei Jesaja geredet habe: ‚Wehe der sündhaften Völkerschaft, dem Volk, das mit Missetat beladen ist … Wenn ihr eure Hände ausbreitet, so decke ich meine Augen zu vor euch. Auch wenn ihr viel des Betens macht, hör ich’s nicht … Waschet euch, reinigt euch, tut weg vor meinen Augen das Böse eurer Werke. Höret auf, Böses zu tun. Lernet, Gutes zu tun. Dann werden eure Sünden entfernt und vergeben werden.‘ (Jesaja 1:4, 15-18)“

Als sich niemand mehr zum Wort meldete, hob ich die Hand und bat um die Erlaubnis, meine Ansicht darlegen zu dürfen, obwohl ich ein Fremdling sei. Der Vorsitzende legte der Versammlung mein Ansinnen vor, und als diese ihre Einwilligung gegeben hatte, sagte ich folgendes: „Meiner Ansicht nach besteht die Nächstenliebe darin, dass man bei jedem Werk und in jedem Beruf aus Liebe zur Gerechtigkeit und mit Urteil handeln soll, jedoch aus einer Liebe, die keinen anderen Ursprung hat als den Herrn, unseren Gott und Heiland. Alles, was ich von den Bänken rechts und links vernommen habe, sind oft gehörte Beispiele der Nächstenliebe. Wie jedoch der Vorsitzende dieser Versammlung im voraus bemerkte, ist die Nächstenliebe in ihrem Ursprung geistig und in ihrer Weiterführung natürlich. Die natürliche Nächstenliebe aber erscheint, wenn sie von innen her geistig ist, vor den Augen der Engel durchsichtig wie ein Diamant. Ist sie dagegen in ihrem Inneren nicht geistig, sondern bloß natürlich, so erscheint sie den Engeln in der Gestalt einer Perle, ähnlich wie das Auge eines gesottenen Fisches.

Es steht mir nicht zu, darüber zu entscheiden, ob die berühmten Beispiele für die Nächstenliebe, die ihr der Reihe nach vorgebracht habt, von der geistigen Nächstenliebe eingegeben sind oder nicht. Ich betrachte es aber als meine Aufgabe, zu erklären, worin das Geistige zu bestehen hat, das die angeführten Formen der Nächstenliebe erfüllen muss, damit sie wirklich zu natürlichen Formen der Nächstenliebe werden. Dieses Geistige besteht darin, dass sie aus Liebe zur Gerechtigkeit und mit Bedacht getan werden. Das bedeutet aber, dass sich der Mensch bei der Ausübung der Nächstenliebe daraufhin prüft, ob er wirklich aus Gerechtigkeit handelt, und das durchschaut er auf Grund seiner Urteilskraft. Der Mensch kann nämlich durch seine Wohltaten durchaus auch Böses bewirken, ebenso wie er durch Handlungen, die äußerlich böse erscheinen mögen, in Wirklichkeit wohltun kann. So bewirkt beispielsweise derjenige durch seine Wohltaten etwas Böses, der einem mittellosen Räuber Geld gibt, womit dieser sich – obwohl er es freilich nicht sagt – ein Schwert kaufen kann, oder wenn er ihn aus dem Kerker befreit und ihm die Flucht in die Wälder ermöglicht, indem er bei sich spricht: Es ist ja nicht meine Schuld, dass dieser Mensch ein Straßenräuber ist; ich bin nur dem Menschen zu Hilfe gekommen. Um noch ein weiteres Beispiel zu geben: Es ist, wie wenn jemand einen Arbeitsscheuen ernährt und beschützt, damit er nicht zu den Mühen der Arbeit angehalten wird und zu ihm spricht: Geh in mein Haus und lege dich dort in einem Zimmer zu Bett. Warum solltest du dich abmühen? Wer dies tut, begünstigt nur die Trägheit. Ebenso handelt, wer Anverwandte und Freunde zu Ehrenstellen befördert, die deren nicht würdig sind, und in denen sie vielerlei Böses tun können. Wer sieht nicht, dass solche Werke der Nächstenliebe keineswegs einer bedachtsamen Liebe zur Gerechtigkeit entspringen?

Und umgekehrt, wer sieht nicht, dass der Mensch durch Handlungen, die äußerlich böse erscheinen mögen, in Wirklichkeit doch wohlzutun vermag? Als Beispiel diene ein Richter. Man stelle sich vor, dass er einen Übeltäter freispricht, nur weil er weint, fromme Redensarten von sich gibt und bittet, er möge ihm doch verzeihen, weil er sein Nächster sei. In Wirklichkeit handelt der Richter gerade dann im Sinne der Nächstenliebe, wenn er die gesetzmäßige Strafe über den Missetäter verhängt, sorgt er doch auf diese Weise dafür, dass dieser nicht wieder etwas Böses tut, das der menschlichen Gesellschaft, die im höheren Grade der Nächste ist, zum Schaden gereicht, und dass er selbst nicht durch ein Fehlurteil Ärgernis erregt. Und ferner: Wer weiß nicht, dass es den Dienern zum Besten gereicht, wenn sie von ihren Herren, und den Kindern, wenn sie von ihren Eltern ihrer Missetaten wegen zurechtgewiesen werden? Dasselbe gilt auch für die Bewohner der Hölle, die es alle lieben, Böses zu tun, und daher in Gefängnissen unter Verschluss gehalten und, wenn sie Böses tun, bestraft werden. Der Herr lässt dies um der Besserung willen zu, und es geschieht, weil der Herr die Gerechtigkeit selbst ist und alle seine Handlungen aus dem vollkommenen Urteilsvermögen heraus vollbringt.

Aus alldem kann man ersehen, weshalb die Nächstenliebe aufgrund einer bedachtsamen Liebe zur Gerechtigkeit geistig wird, einer Liebe freilich, die keinen anderen Ursprung hat als den Herrn, unseren Gott und Heiland, weil von ihm alles Gute der Nächstenliebe stammt, da er sagt: ‚Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.‘ (Johannes 15:5), und dass er alle Gewalt habe im Himmel und auf der Erde. (Matthäus 28:18) Alle bedachtsame Gerechtigkeitsliebe stammt, wie aus Jeremia 23:5 und Jeremia 33:15 hervorgeht, allein von dem Gott des Himmels, der die Gerechtigkeit selbst ist, und von dem den Menschen alle Urteilsfähigkeit zukommt.

Hieraus ergibt sich der Schluss, dass alle Dinge, die von den Bänken zu beiden Seiten dieses Hauses aufgeführt worden sind – ich fasse zusammen: die Nächstenliebe ist die vom Glauben beseelte Sittlichkeit, sie ist die vom Mitleiden beseelte Frömmigkeit, sie besteht darin, sowohl den guten wie den schlechten Menschen Gutes zu tun, den Anverwandten und Freunden in jeder Weise zu dienen, den Armen zu geben und den Notleidenden beizustehen, Krankenhäuser und dergleichen mehr zu errichten und durch Zuwendungen zu erhalten, die Kirchen zu bereichern und ihren Dienern wohlzutun, sie ist eins mit der alten christlichen Bruderschaft, und sie besteht darin, dass man jedem seine Verfehlungen vergibt – dass alle diese Dinge, sage ich, vorzügliche Beweise der Nächstenliebe sind, sobald sie nur aus Gerechtigkeitsliebe und mit Bedacht geschehen. Andernfalls haben sie nichts mit der Nächstenliebe zu tun, sondern sind lediglich wie Bäche, die von ihrer Quelle getrennt, oder wie Zweige, die von ihrem Baum abgerissen sind. Denn echte Nächstenliebe besteht darin, dass man an den Herrn glaubt und in jedem Werk und Beruf gerecht und redlich handelt. Wer also unter dem Einfluss des Herrn die Gerechtigkeit liebt und mit Bedacht übt, der ist ein Bild der Nächstenliebe und ihr ähnlich.“

Auf diese Worte hin entstand eine Stille, wie man sie bei denen findet, die wohl im inneren Menschen einen Tatbestand sehen und anerkennen, aber noch nicht im äußeren. Das entnahm ich dem Ausdruck ihrer Gesichter. Nun aber wurde ich rasch ihrem Anblick entrückt, da ich aus dem Geist wieder in meinen materiellen Körper zurückkehrte (denn weil der natürliche Mensch mit einem materiellen Körper angetan ist, wird er keinem geistigen Menschen, d. h. keinem Geist oder Engel sichtbar, ebenso wenig wie umgekehrt).

  
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